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Übersicht

Atmosphärisches Wochenbuch

Totale Stimme

Matthias Ohler am 29.11.2013

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In einem Sammelband mit dem Titel Stimme und Schrift (1) findet sich ein Beitrag von CORNELIA BLASBERG: Die Stimme und ihr Echo. Zur literarischen Inszenierung des ‚Wiederschalls‘ von Herders Sprachursprungs-Theorie bis Marcel Beyers Topophonie des Faschismus. So ängstigend der Titel wirken mag, so spannend ist der Untersuchungszugang. Wie inszeniert sich über die Inszenierung von Stimme im öffentlichen Raum ein Raum um die Öffentlichkeit, die wir dann als das erleben, was doch offensichtlich und für alle verbindlich ist, besonders als Befindlichkeitsraum? Am Beispiel der tonalen Inszenierung von Adolf Hitlers Stimme über Laut-Sprecher in Stadien und anderen Räumen wird dies verdeutlicht.

Hier schließt sich die Frage an: Worauf setzen derlei akustische Inszenierungen, dass sie sich ihres Erfolges so ziemlich sicher sein können? Meine These wäre: sie setzen darauf, dass ein lebendes System, das hören kann, nicht nicht hören kann und früher oder später eine enge Kopplung mit dem eingeht, was akustisch um es herum als dauerhafte Umwelt dauernd vorkommt. Blasberg weist in ihrem Essay auch auf den Imitationseffekt hin: Die regionalen Führer-Vertreter sorgten dafür, dass diese Stimme an allen Ecken ertönte, und sei es in eher schlechten als rechten Nachahmungen. Auf Inhalte kommt es dabei weniger an als auf Töne einer Stimme, die Stimmung macht, einstimmt, und schließlich bestimmt. Ein mir nahe verwandter, 1927 geborener Mann berichtete mir einmal darüber, wie noch immer seine Hauthärchen reagierten, wenn in irgendwelchen Dokumentationen Hitlers Stimme erklinge. Totalitarismus ist der Versuch einer solchen totalen Kopplung, die Unterscheidungen ausgeschlossen erscheinen lässt.

(1) Waltraud Wiethöfer, Hans Georg Pott und Alfred Messerli (Hrsg.), Stimme und Schrift, Paderborn 2008, W.Fink Verlag)

Kommentare

01.12.2013

Mira Little

zuallerzweit ja

01.12.2013

Dr. Gast

Hm. Für mich ist Schweigen zuallererst eine Erfahrung.

01.12.2013

Mira Little

Schweigen kann man nicht zuerst, es bildet sich als Unterscheidung aus dem sich äußern. Das liegt auch in der Rolle, die ihm im Tractatus Wittgensteins zukommt. Alles andere läuft auf totale Bemächtigung hinaus, die dem Poesieren zwar nicht ganz fremd ist, aber von ihm fortgehalten werden sollte.

01.12.2013

Dr. Gast

Das Schweigen ist ein herausragender atmosphärischer Aktant. Denken wir an ZEN oder die Schweigegelübde in Klöstern. Man kann das Schweigen als eine der klügsten Menschheitseinrichtungen erkennen. Im Schweigen zeigt sich Alles und Nichts, Gott und Teufel, Yin und Yan. Am lautesten wird es, wenn du schweigst. Aber auch: Am allerschönsten hört man sich schweigend dichten.

30.11.2013

deaXmac

Inwiefern bringt man das Ganze atmosphärisch jetzt mit dem Schweigen zusammen?
Mit dem betretenen Schweigen, dem eisigen Schweigen, den Schweigemauern, dem Totschweigen etc.
Vielleicht eine Frage von Kopplungen des Innen-Ohres?
"Wer nicht hören will, muß fühlen"

Und wie mag das hiermit in Zusammenhang stehen.
6.53 Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat -, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.”

Kann es sein, dass "order from noise" deshalb nicht gelingt:

"Es wird weiter gedroschen". Nein so grausam sind wir nicht. Immer noch mehr Phrasen als Menschen."
Karl Kraus

30.11.2013

Dr. Gast

Stimmen und auch andere Geräuschkulissen als machtvolle Aktanten. Eine erprobte Art und Weise ,Atmosphären zu erzeugen, die buchstäblich unter die Haut gehen. Wie Militärischer oder polizeilicher Funkverkehr etwa, vielleicht noch auf englisch.Dabei ist gar nicht wichtig, was gesprochen wird, sondern dass gesprochen und vor allem welcher Machart die Töne sind.

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