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Atmosphärisches Wochenbuch

Hast du eine Strategie?

Raimund Schöll am 25.08.2013

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Hast du eine Strategie?, hat mich kürzlich jemand so nebenbei mal gefragt. Komisch fand ich, jeder und alles scheint derzeit irgendeine Strategie zu benötigen. Für das Bewerbungsgespräch sollte sich der Aspirant möglichst eine klare Bewerbungsstrategie zurecht legen sowie der Prüfling, der in der Mündlichen idealer Weise einer Prüfungsstrategie folgt. Ebenso hab ich schon von der Empfehlung gehört, man möge als Mitarbeiter nie ohne klare Beziehungsstrategie den neuen Arbeitsplatz antreten. Und der ambitionierte Flirter geht selbstverständlich auch nicht ohne Flirtstrategie auf Beutefang. Weil's einfach effizienter sei, sagen die Flirtcoaches. Vielleicht werden demnächst ja selbst Bierzeltgänger angehalten, mit durchdachten Trinkstrategien zum Umtrunk zu schreiten.

Man fragt sich: Woher rührt eigentlich die Vorliebe für's Strategische? Könnten wir nicht auch anders reden?

Vielleicht hilft hier ein Blick ins Lexikon: Strategie leitet sich von strategós „Feldherr, Kommandant“ ab. Es geht bei Strategie um ein längerfristig ausgerichtetes Anstreben eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen.

Nun kann man daraus schlussfolgern, der wiederholte Gebrauch des Wortes „Strategie“ verdanke sich der Hoffnung, komplizierte und komplexe Angelegenheiten seien mittels durchdachter Masterpläne in den Griff kriegen und damit besser beherrschbar. Der General ist ja auch eine beliebte, immer noch gern genutzte Metapher für vermeintlich gutes Führen. Und die reichte als solche sauch schon bis in die Haushaltswelt hinein. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an die munter resolute Hausfrau in den 70ern, die mit dem Putzmittel „Der General“ strategisch und werbewirksam ihr Eigenheim säuberte.

Jedoch: Als Militärgedienter kenne ich auch die Erfahrung, dass sich Manches, was sich Kommandanten so ausdenken als verbrieft lächerlich herausstellt. Bei einer großen Geländeübung erlebte ich, wie alles einer vermeintlichen Strategie untergeordnet war, von der aber umso weniger verstanden wurde, je mehr es im Dienstgrad nach unten ging. Die Folge war, dass wir als einfaches Fußvolk oft wie blinde Hühner durchs Gelände liefen.

Aber nun. Dass man beim Militär oder vielleicht auch in Unternehmen strategisch sein will, leuchtet noch ein. Was aber hat der Begriff in Sphären des Zwischenmenschlichen zu suchen? Warum liegt er dort gerade so im Trend? Warum braucht jemand eine Flirtstrategie? Hat man sich als Mann je eine Frau mittels Strategie geangelt oder eine Frau sich einen Mann? Ach ja, Christine Neubauer in ihren Romantikschinken vielleicht. Oder hat ein Poet einen seiner schönen Texte mithilfe eines strategischen Masterplans abgesondert? Na ja, wenn man den Schreibhilfebüchern folgen mag, vielleicht. Oder therapiert man seine Klienten erfolgreich im Sinne einer klaren Mittel-Zweck-Abwägung? Wenn man den Therapie-Manuels und manchem NLPler Glauben schenkt, möglicherweise!?

Und doch finde ich: es wäre nahezu rührend, wenn soziale und psychische Systeme (Jargon) nur einiger Strategien bedürften, um erfolgreich aufeinander einzuwirken. Wer je den Versuch gestartet hat, komplexe soziale Situationen mittels Strategie ausreichend organisiert zu kriegen und damit Erfolg hatte, der melde sich bitte. Wenn man mich fragt ist das - nicht nur eigentlich - Nonsens.

Andere Begriffe wären da wahrscheinlich angebrachter: Intuition und Mut vielleicht, Experimentierfreude und Ideen, Aufmerksamkeit, Leidenschaft, Sensibilität, Achtsamkeit und Einfühlungsvermögen. Strategie ist ein Füllwort, ein Platzhalter. Strategie klingt gut, ist aber als handwerklicher Begriff fürs Zwischenmenschliche ungefähr so geeignet wie ein Vorschlaghammer für Reisnägel.

Ach ja, in dem bemerkenswerten Dokumentarfilm „The Fog of War“, sagt der ehemalige Verteidigungsminister McNamara im Interview, der dritte Weltkrieg sei wohl allein dadurch verhindert worden, dass ein beherzter Diplomat, der Chruschtschow persönlich kannte, sich in die Gedanken von Chruschtschow intensiv hinein gedacht habe und zu dem Schluss kam, das Chruschtschow in seinen aggressiven Äußerungen aller Wahrscheinlickeit nach blufft. Daraufhin blies man den geplanten Raketenangrif auf Cuba ab. Hätte man rein strategisch gehandelt, wäre es wohl in der Cuba-Krise zum atomaren Erstschlag durch die Amerikaner gekommen. Einfühlungsvermögen und nicht Strategie war damals also das Erfolgsrezept.

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