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Atmosphärisches Wochenbuch

Volksfestliche Distinktionsgewinne

Raimund Schöll am 01.10.2012

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Die bundesdeutsche Gesellschaft sei eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft. Alle träfen sie sich doch heutzutage irgendwo und irgendwie in der Mitte. Soziale Klassenunterschiede gehörten längst der Vergangenheit an. Dieses Lied, ein Evergreen, wird auch heute noch gern gesungen - und das nicht nur von Politikern, sondern vorzugsweise auch von Schauspielern, Sportlern und anderen "Leute-Heute-Menschen". Ebenso gibt sich so mancher Philosoph der Postmoderne gerne das Mantra: wie sind wir doch alle gleich inzwischen. Und wenn du sie nicht spürst, dann musst du sie nur finden, die Gleichheit. Alles nur eine Frage der Sichtweise, pauvre homme!

Mag ja sein, dass wir uns inzwischen alle bei ALDI beim Einkaufen begegnen können, der Vorstand mit der Putzfrau schon mal mit an der Kasse steht. Klar, und im Fußballstadion läßt sich auch Fürstin Gloria hin und wieder beim Mitbrüllen für den FC Bayern beobachten. Doch wird wohl übersehen, dass gerade an solchen Orten die Distinktion, d.h. das Spiel der feinen Unterschiede auffällig gern kultiviert wird. Institutionen und Veranstaltungen für die Masse sind immer auch Bühnen für die Selbstinszenierung der Nicht-Masse: "Sagen Sie gute Frau, haben sie nicht eine Tüte für mich?" "Oh wie wunderbar. Ich bin so gerne unter den einfachen Leuten."

Auf Deutschlands größtem Volksfest, dem Oktoberfest, das gerne als authentisch egalitäre Veranstaltung promotet wird, wird diese Form sozialer Selbstzelebrierung für den aufmerksamen Beobachter augenscheinlich. Während die Volksmassen in den Bierzelten die Arenen rund um die Blaskappelle bevölkern, geben sich Vorstände, Firmenlenker, A-,B-und C-Promis gerne in den oberen Boxen die Ehre. Dort sitzt man wunderbar abgesetzt vom Volk und kann dennoch an der volkstümlichen Atmosphäre partizipieren, ohne davon im direkten Hautkontakt belästigt zu sein. Meist sorgen zahlreiche Ordner dafür, dass die Trennlinien selbst im ärgsten Bierdunst nicht verwischen.

Wer aber auf dem Oktoberfest dann doch lieber das Unter-Sich-Sein-Feeling genießen will, geht ins Käferzelt oder Hippodrom. In diesen Etepetete-Bierzelten feiern sich die die höheren Töchter und Söhne und andere Wichtige zünftig in 3000-Euro-aufwärts-Trachten. Da kann, wer will, auch Sekt aus dem Maßkrug trinken. Der zusätzliche Distinkitonsgewinn im Käferzelt oder Hippodrom ist, dass man Roberto Blanco, Franz Beckenbauer, früher gerne auch Christian Wulff, Herrn Ackermann und andere Rhinozerosse in seiner Nähe wähnt.

So richtig Volksfestatmosphäre ist dann da zwar nicht mehr. Aber alles hat halt bekanntlich seinen Preis.

Kommentare

02.10.2012

Hans

Richtige Wiesngaudi!

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