skip to content
EndeWelt image

Übersicht

Atmosphärisches Wochenbuch

Kafkaeskes aus Prag

Raimund Schöll am 07.08.2011

-> Hier können Sie Kommentare lesen oder schreiben

Prag, eine jungfräuliche Begegnung für mich. Gleich nach der Ankunft treten wir an, zum ersten touristischen Kamelgang. Oben vom Hradschin aus lässt sich´s entspannt in die Altstadt hinunter streifen, an Jahrhunderte alten fesch restaurierten Hausmauern entlang, die ihresgleichen suchen in Europa. Ich fühle mich angesprochen von dem kunstsinnig gestalteten Gemäuer, auch weil hier und da böhmisch Gastronomisches heraus olfaktoriert. Plötzlich ein Gedanke: Lebte nicht Franz Kafka in Prag? Und - kafkaesk. Ach ja, das war es doch! So bezeichnen wir Situationen im Leben, die verunsichern, die nicht auf festem Boden stehen und befremdlich wirken. Im Leben gibt es Situationen, die sind kafkaesk, sagt man und ich lipple es noch zwei drei Mal vor mir her das Wort, das ich in der Gymnasialzeit zum ersten Mal gehört, aber erst viel später verstanden habe, denke ich.

Dann stehen wir plötzlich auf der Karlsbrücke, der berühmten, die sie über die Moldau gebaut haben vor hunderten von Jahren und die ich mir erspare hier zu beschreiben. Ein drängelndes Völkergemisch steht und geht bunt gewürfelt durcheinander. Junge Mädchen, Liebespaare, alte Männer, Spanier, Griechen, Russen, Deutsche, Japaner, Zieharmonikaspieler und Geiger; eine ausgelassen, aber auch überbordend anmutende Geräuschkulisse jedenfalls, und überall drücken sie wie wild auf ihren digitalen Klickautomaten herum. Klick klick, klick, jeder mit sich und seiner Blase und dem Klicken beschäftigt.

Und weiter hinten über den Dächern des Josephsviertels, das ich zum erstem Mal in meinem Leben sehe und in dem Kafka zu Hause gewesen war, sagt der buchstabene Reiseführer, tritt zauberhaft und von allen scheinbar unbemerkt die Dämmerung in Kraft. Die feuchtschwüle Abendluft dunkelt, begleitet von lila schlierigen Wolken, das Quartier ein, in dem sich der sensible Poet die meiste Zeit seines Lebens aufgehalten hatte. Kafkaesk murmelt es erneut in mir und in diesem Moment spüre ich, was mit diesem Wort gerade gemeint sein könnte.

Hier können Sie Kommentare schreiben

Zur Übersicht