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Atmosphärisches Wochenbuch

Ein Jammer

Raimund Schöll am 21.11.2013

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Dieter Hildebrandt ist tot und meine Trauer groß. Ich denke an seine wachen Blicke hinter der großen Brille, die uns als Zuseher respektive Zuhörer stets zu suchen schienen. Oft hielt er auf der Bühne - beim Schweibenwischer, im Lustspielhaus, in der Lach- und Schießgesellschaft oder sonst wo in der Republik - lässig die Hände in den Hosentaschen, während man ihm so dabei zusehen konnte, wie er vergnügt an der Entwicklung seiner eigenen Sätze Teil hatte. Dieter Hildebrandt stand im besten Sinne neben sich, will heißen er nahm sich selbst nicht so wichtig, er war eher ein Jazzer, jedenfalls kein Rocker. Ich sehe ihn bildlich vor mir, wie er auf der Bühne hin und herwieselt, manchmal etwas staksig, aber immer vor Elan und Spottlust sprühend. Zur Hochform lief er dann auf, wenn er sich mit Bruno Jonas, Urban Priol, Georg Schramm und anderen seines Formats seine Wortgefechte lieferte, und das Publikum als großer Kreis stets eingebunden war. Dabei sah er die Leute, die ihm zuhörten, immer an. Man sollte ihn und seine Worte eben nicht bewundern, sondern man war eingeladen mitzudenken. Dieter Hildebrandt wollte, dass man dem, was von ihm gesagt wurde, einen Realitätssinn abgewann. Er bürstete die politische Realität so lange gegen den Strich - manchmal auch mit der Stahlbürstste - bis die politischen Zumutungen der Zeit klar hervortraten, sie sich gleichsam ins Brennglas hinein verdichteten, so dass man als Mitdenkender diesen Zumutungen kaum mehr entkam. Das machte ihn mir auch menschlich sympathisch, weil er in seiner Gescheitheit nicht vorrangig eitel war. Er war ein kabarettistischer Triebmensch kein angestrengter Applauserhascher.

Unvergessen seine tausend unabsichtlich absichtlichen Versprecher, seine beredten Sprechpausen, die er einzulegen pflegte, wenn er uns mal wieder mitkommen lassen wollte, sein, seine Respektlosigkeit gegenüber den Statusverliebten, und seine Empörung, die er nicht als Habitus auslebte, sondern immer dann, wenn Empörung auch angebracht war. Er wird mir sehr fehlen, mein ganz persönlicher Dieter Hildebrandt, da bin ich sicher, aber inneratmosphärisch wird er mir erhalten bleiben, da bin ich ebenso sicher.

Kommentare

21.11.2013

MatO

Danke herzlich.

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