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Atmosphärisches Wochenbuch

Tobsch

Raimund Schöll am 27.05.2012

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Auf einmal saß er neben mir auf dieser alten Holzbank. Ich machte gerade Rast von einer Wanderung. Die Bank lag im Halbschatten einer Pinie. Guten Tag, Tobsch mein Name, Matthias Tobsch. Ich war überrascht, hier mitten in der wilden Landschaft Andalusiens einen Landsmann anzutreffen. Fast neunzig muss er gewesen sein. Die Falten in seinem von der Sonne gegärbten Gesicht zogen tiefe Furchen. Angestrengt schnaufend stützte er sich auf seinem Stock ab, zwinkerte mir freundlich zu. Gemeinsam blickten wir minutenlang schweigend hinab in das vor uns liegende Tal. Den schmalen Fluss unten, den man nur hören, aber nicht sehen konnte, säumten hunderte von hohen Pappeln. Ein ungewöhnlicher Anblick, hier mitten in Südspanien, fand ich.

Dann fing Herr Tobsch an zu erzählen. Immer wenn er diese Pappeln betrachte, erinnerten die ihn an den großen Krieg - damals als er als junger Soldat mit Panzern und anderem schweren Gerät die Grenze zu Polen überrennen mußte, 1939 im Spätsommer. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Landschaften wären vor ihnen erzittert, den übergeschnappten Teutonen. Das Getöse und laute Hurra, die dumpfe Kampftrunkenheit - eigentlich alles Schnee von gestern, beschäme ihn bis heute, doch sei es ja nicht rückgängig zu machen. Leider. Nur die Pappeln, die ihn überall und stets während des Krieges und bis nach Russland, begleitet hätten, wären seltsam aussen vor geblieben. An Flüssen und Bächen, am Rande von Feldwegen und Straßen. Stets hätten sie für ihn etwas Maßgebendes gehabt, inmitten des Furors, sagte er. Bis heute noch, wenn er den Pappeln begegne, ihr gleichmäßiges Rauschen höre, die Blätter so anmutig im Wind zappelten, befielen ihn tiefe Glücksgefühle. Es klinge vielleicht komisch, doch habe er seelisch überlebt durch diese stolz stoischen Gewächse. Durch die Pappeln habe er geschafft, in all der Unmenschlichkeit ein Mensch zu bleiben. Davon sei er heute fest überzeugt. Daher komme er auch regelmäßig hierher. Er liebe diese stille Gegend, hier im Hinterland Andalusiens, wo es vor Pappelhainen nur so wimmele. Wissen Sie, hier leben und überleben die Leute auch mit den Pappeln, vielleicht nicht so wie ich damals, aber..... na ja.

Herr Tobsch stand schließlich auf, verabschiedete sich und ging. Ihnen, lieber Kollege viel Glück. Und grüßen Sie mir all die schönen Bäume in Deutschland, rief er mir noch freundlich zu. 

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