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Atmosphärisches Wochenbuch

Seltsame Atmosphären an einem Sommertag

Raimund Schoell am 05.05.2011

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Am Morgen des 10 August ging ich aus dem Haus die Straße entlang in den Wald hinein, sprang über Steine und Hölzer und vergegenwärtigte mir die Situation, in der ich mich befand. Nichts war geschehen, doch kam ich mir lächerlich vor an diesem Tag, weil ich mich morgens im Spiegel betrachtet hatte. Mir war jeder Optimismus vergangen und ich wollte allein sein, um mit meiner Wehleidigkeit klar zu kommen. Der blaue Himmel über mir ächzte in die Luftansammlungen hinein, ich nahm einen kräftigen Schluck Atem in die Lungen und dachte bis zum Abendbrot wieder daheim sein zu  wollen, weil ja Jutta zu Hause auf mich wartete. Der Tag versprach sich in sich zu verdrehen ohne Höhen und andere Anhaltspunkte. Aber dann kam alles anders.

Eine Frau, die ich noch nie zuvor in diesem Wald angetroffen hatte, lief mir von weitem entgegen, in einer Art wie ich es zuvor noch nicht gesehen hatte. Sie schlug mit den Beinen abwechselnd rechts und links nach vorwärts drehend zur Seite aus und wechselte mit jedem vierten bis fünften Schritt die Gehrichtung, sie tänzelte mit ihren spindeldünnen unbestrumpften Beinen barfuss den Kiesweg entlang und pfiff mit gespitzten Lippen in den aufflammenden Wind hinein. Ihre langen wehenden blonden Haare ragten einen Meter nach hinten und wurden in dieser Stellung gehalten. An einer Leine befestigt hielt sie einen schwarzen Hund, mit kleinen Rattenohren, der in der Luft hinter ihr her flog und wie der Sitz eines Kettenkarussels nach links und nach rechts schleuderte. Es gesellten sich noch ein paar Vögel dazu, die wie schwarze Flecken auf und abfielen, hin und her purzelten. Mir flog der Hut vom Kopf, meine Haare verwehten ins Tannengeäst hinein, während Taubenkopf in aller Ruhe in seiner Hängematte zuhörte, als ich ihm davon erzählte. Die Kegelgesellen, die ich ab und zu treffe, konnten meinen Ausführungen zwar folgen, sie hielten meiner Erzählung allerdings mit Rätselfurchen im Gesicht gewisse Glaubensbekenntnisse entgegen: Es könne sein, dass sich das Benehmen von Menschen so ausnehme, aber das Kegeln sei in seiner Eigenart eine klare Sache, der man nichts hinzufügen solle. Rohrer gehörte auch zu den Keglern.

Inzwischen hatte die Frau den Hund abgeleint, ein wenig tölpelig lief er hin und her, bellte und surrte während sie, es ist kaum zu glauben, langsam ihre Handtasche öffnete und eine kleine Schildkröte daraus hervorkramte, die in sich weiß war, mit schwarzen Streifen auf dem Gehäuse. Sie liebkoste das Tier küsste und leckte es. Mir wurde komisch, ich dachte an Jutta und an das Essen, das auf mich wartete, und so wich ich ins Unterholz aus. Das Geäst des Waldes trug mich weich auf den Beinen, es knisterte keuchte fleuchte, ächzte lechzte schnarchte scharrte nagte krächzte unter mir, ich lief an unzähligen Bäumen vorbei. Die Frau mit ihrem Hund hatte ich dabei stets im Blick. Aber das Schicksal, von dem ich nicht wusste, wo es her kam, bestimmte von nun an das Geschehen. Ein Stein inmitten des Geästs stoppte abrupt meinen Gang. Ich fiel so unglücklich, dass ich mit meiner Stirn auf ihn aufschlug. Ich blutete und mir war schlecht. Nun hatte ich keine Wahl – ich musste auf mich aufmerksam machen. In meiner Notlage blieb mir nichts anderes übrig als um Hilfe zu schreien, da ich damit rechnete jederzeit ohnmächtig zu werden. Da lag ich also - auf diesem Waldboden und ich sah noch, durch allerlei Geäst hindurch sah ich, wie diese Frau ihre Handtasche erneut öffnete. Sie kramte ein mobiles Telefon in Form eines Schuhs daraus hervor. Ich hörte wie sie röhrte, lautstark röhrte sie Sätze in den Schuhabsatz hinein und mit ihren rot lackierten Fingerschuppen nestelte sie an einer schwarzen dünnen Schlange, die in ihren Ohren verschwand, herum. Ihr Haar stand inzwischen senkecht nach oben, helmartig stachen die hellen Fusseln in das Luftmeer hinein. Ich sah zum Himmel hoch, ein Flugzeug tauchte auf und verschwand - dann Sternesgeläut. Ein weiser Mann, dessen Name mir nicht mehr einfallen will, begann sich in mir auszubreiten. Er hielt eine Kette aus Gold in der Hand und ermahnte mich mit federleichtem Gesicht, der klaren Linie nicht davon zu laufen.

Als ich Stunden später in weißen Laken gehüllt an die Decke starrte, klopfte mir Prof. Rösenteich auf die Schulter und sagte: na mein Guter, was ist Ihnen denn da mal wieder passiert? Was hätte ich schon antworten sollen? Mir war die ganze Sache unangenehm. Rösenteich hatte ja schon seine Meinung zu mir. Also erkundigte ich mich nach seinen neuesten Forschungsprojekten, fragte nach seiner Familie und so weiter. Rösenteich war froh und ich auch. So lief die Geschichte ohne weitere Höhepunkte ihrem Ende zu.

Aus: Theo Dünnbiers Gedankenfluchten - Die Kunst den Überblick zu verlieren, unveröffentlichtes Manuskript, 2011 (Raimund Schöll)

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