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Atmosphärisches Wochenbuch

Gauck

Raimund Schöll am 25.02.2012

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Die Sache mit dem Joachim Gauck ist ja die: Er verspricht allein schon durch seinen Habitus etwas anderes als der Bundespräsident vor ihm. Er wird wohl am freigeistig feinen Politikstil eines Richard von Weizsäcker anknüpfen - jedenfalls weniger an dem von Christian Wulff. Das ist augenscheinlich.

Habitus wäre - hier mal frei übersetzt - eine Komposition oder Summe aus Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsgewohnheiten, die vor allem sozial erworben ist. Der Habitus vermittelt sich laut Pierre Bourdieu vor allem über die Hexis, sprich eine Art sozialer Sprache und Körpersprache.

Joachim Gauck war lange Zeit Pastor in der früheren DDR. Er hat als Kind früh seinen Vater aus den Augen verloren, weil der verschleppt wurde. Und er hat in der DDR einen glaubwürdigen Lebensweg als Antikommunist genommen, bis er - während der friedlichen Revolution 1989 und anschließend als Chef in der Stasi-Unterlagenbehörde der neuen Bundesrepublik Deutschland - zu größerer Bekanntheit avancierte. In der Summe eine Biographie, die ungewöhnlich, ja herausragend ist.

Allerdings wird er sich bald schon an seinen Taten und mehr noch an seinen Worten messen lassen müssen wie andere Präsidenten vor ihm auch. Er wird Reden halten, die uns etwas sagen, die Richtung weisend für unser Land sein werden oder eben nicht. Sprich seine habituelle Wirkung wird sich in präsidiale Politik und Worte und in eine dem Land angemessene Atmosphäre übersetzen lassen müssen.

Meine Hoffnung wäre, dass mit ihm nun nicht das Gleiche passiert wie mit anderen Politcharismatikern. Die werden ja bekanntlich gerne als "Schimmelreiter" gehandelt, will heißen zu Rettern der Nation stilisiert. 

Wenn in Leitartikeln oder Kommentaren oder Talk Shows Gauck's zukünftige Präsidialschaft jetzt schon mit so viel Vorschusslorbeeren bedacht wird - und zwar vornehmlich deswegen, weil er wirkt wie er wirkt, hoffe ich immer, dass dabei mitgedacht ist, dass es - zumindest für uns Bürger - eben nicht nur um eine imposante und glaubwürdige Politikfigur geht, sondern auch darum, ob es ein Bundespräsident vermag, jenseits seiner habituellen Strahlkraft, passend fürs das Land da zu sein. Wie könnte das mit ihm gehen?

Ich meine, Herr Gauck könnte für uns ein Präsident werden, der uns hilft, ein wenig mehr über uns selbst nachzudenken. Weniger auf andere zeigen als auf uns selbst, könnte das unausgesprochene Motto sein. Er könnte uns dabei unterstützen, hin und wieder eine Beobachterperspektive 2. Ordnung einzunehmen. Wie beobachten wir als Deutsche das, was wir beobachten? Wie konstruieren wir uns, oder wie sollten wir uns konstruieren, damit uns andere entsprechend konstruieren können. Damit würde er seinen Habitus glaubwürdig in den Dienst einer selbstreflexiven Gesellschaftsatmosphäre stellen, denke ich. Dass Joachim Gauck jemand ist, der genau das könnte, deutet sich schon länger an, eben auch über seinen Habitus.

Das heißt, bestenfalls werden wir uns hoffentlich auch mal dekonstruiert, ernüchtert oder konfrontiert fühlen von und durch ihn, dann nämlich, wenn er uns an unsere inneren und äußeren Verfaßtheiten erinnert. Zu hoffen wärs, finde ich. Retter brauchen wir keine mehr.

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