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Atmosphärisches Wochenbuch

Mauerkinder und Immunsysteme

Raimund Schöll am 03.06.2012

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Berlin war und ist immer einen Aufenthalt Wert. Selbst wenn ich nur kurz auf Durchreise dort bin, lasse ich es mir so gut wie nie nehmen, wenigstens ein paar Stunden irgendwo in der Stadt zu verbringen. Berlin ist ein Phämomen, finde ich: ständig in Bewegung, immer etwas, was man noch nie gesehen hat oder ganz neu ist. Aber auch Bekanntes, Immerwährendes sieht man: Ah ja, hier war ich schon mal spazieren, und dort habe ich habe vor 40 Jahren ein Eis gekauft gekriegt. Mich verbindet einiges mit Berlin. Meine Großeltern lebten im Südwesten der Stadt.

Heute kam ich - ohne Absicht eigentlich - an der Bernauer-, Ecke Ackerstraße vorbei. Da, wo früher die Betonmauer war und Wachtürme standen, kann man jetzt frei rumspazieren. Der ehemalige Todesstreifen ist zum großen Freilichtmueeum umfunktioniert worden. Überall Schrifttafeln und Audioberichte von Zeitzeugen, die man per Knopfdruck direkt vor Ort neben Mauerresten und ehemaligen Laufstreifen aus Lautsprechersäulen hören kann. 

Besonders interessant fand ich die Fotoausstellung namens MAUERKINDER von Thomas Hoepker (noch bis 30. Juni 2012). Im Wandelgang der neu errichteten Kapelle der Versöhnung - die SED-Rohmenschen haben die einstige Kirche, die dort stand, kurzerhand gesprengt - sieht man auf Schwarzweißfotos Kinder, im Schatten der Mauer spielend. Die Aufnahmen sind von 1963 . Aus dem Jahr also, in dem ich geboren wurde. Der Kontrast zwischen der unwirtlichen DDR-Betonmonstranz und den vergnügt spielenden Kindern konnte größer nicht sein, und er ist berührend: wie sie sich wie selbstverständlich einrichteten, ihre Behausungen und ihre Spielblasen schafften. „Das hässlichste Bauwerk der Welt“ ist von den Kindern einfach zum riesengroßen Abenteuerspielplatz umfunktioniert worden. Für sie war die Mauer - im Gegensatz zu den Erwachsenen - einfach eine Umgebungsbedingung. Erspielend schafften sich ihre  eigenen „innenraumbildenden Immunsysteme“. 

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