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Atmosphärisches Wochenbuch

A. Hofreiter - Umgekehrter Guttenberg Effekt?

Raimund Schöll am 11.08.2014

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Anton Hofreiter wolle vor allem eines: sich nicht verbiegen lassen. Gleichzeitig gelte er als führungsschwach. So etwa steht es in der vorletzten Spiegelausgabe. Es folgt ein Portrait über den Mann aus Bayern, der mit seiner über 25-jährigen Politikerfahrung nun seit einiger Zeit schon sein Glück als Anführer der Bundesgrünen im Bundestag versucht. Hofreiter, Sohn eines Arbeiters, kommt aus Sauerlach, einem kleinen Dorf südlich von München, hat Biologie studiert und reiste, bevor er in die Politik ging, in den südamerikanischen Anden herum. So weit so gut.

Ich habe den Artikel gern und mit Interesse gelesen. Bemerkenswert fand ich allerdings, wie dort Beschreibung und Bewertung zueinander kamen. Einerseits wird Hofreiter als authentische, sympathische, ja streckenweise witzige Figur, dargestellt, andererseits werden für meinen Geschmack die Dimensionen soziale Herkunft und Verhalten recht linear mit dem Etikett führungsschwach verknüpft. Da wird über Hofreiters Angewohnheit berichtet, sich viel in die Hosentaschen zu stecken, so dass die Hosen immer verbeult aussehen. Es wird von seinen langen Haaren erzählt, von seinem Sprachgebrauch: dass er immer noch Worte wie geil etc. verwende, offizielle Interviews mit etlichen Ähs führe, und dass er im Umgang primär auf Nettigkeit setze.

Beim Lesen entsteht das Bild eines sympathischen Typen aus dem Münchner Umland, der im politischen Feld Berlins, so wie er ist, allerdings kaum eine wirklich dauerhafte Erfolgschance habe. Außer seine langen Haare, fänden auch die Leute auf der Straße, wenig Markantes, Bemerkenswertes an Hofreiter.

Nun, ja. Nach den herkömmlichen Standards, die für Führung gelten, stimmt das vielleicht. Hofreiter passt tatsächlich nicht ins aktuelle Leadership-Schema. Einen tragischen Helden gibt er nicht ab, genauso wenig wie das Bild des rüden, sich selbst durchboxenden Selfamdemans. Obwohl man weiß, dass Führungsfiguren, die nach den gängigen Maßstäben als eher introvertiert gelten, wenn man ihnen Zeit gibt und sie sich selbst die Zeit geben, auch Erfolg haben können. Und dies durchaus auch im politischen Feld.

Und noch ein zweiter Gedanke. Die Selbstinszenierung eines Menschen  – auch die eines Politikers – ist ausser charakterologisch auch soziologisch beschreibbar. Ein Begriff, der sich hierfür eignet ist der Begriff Habitus. Das Verhalten - auch das eines Politikers-  ist nicht allein Ausdruck seiner Psychologie, oder der aktuell vorherrschenden sozialen und sachlichen Zwänge. Nein: Es ist auch Ausdruck seiner sozialen Verankerung respective seiner Herkunft. Pierre Bourdieu beschreibt Habitus als Wahrnehmungs-, Denk und Handlungsschema, der über die Hexis und den Stil des Sprechens Auskunft geben kann, woher jemand kommt, und inwiefern ihm dadurch auch Grenzen gesetzt sind. Habitus meint salopp gesprochen, dass man einfach nicht aus seiner (sozialen) Haut raus kann. In jedem Verhalten steckt so gesehen immer auch etwas Uninszeniertes, Unabsichliches, ja Determiniertes (Ich weiß: in der Postmoderne ein uncooler Begriff), etwas also, das auch bei Anton Hofreiter durchscheint. Aber was hat das mit Führungsschwäche zu tun?

Mein Eindruck, den ich auch beim Lesen des Spiegel-Artikels nicht los wurde ist: Das Unabsichtliche am Habitus mancher Politkmachender, das sozial Ungelenke oder Unperfekte an ihnen, besonders wenn das gängige Stereotyp nicht erfüllt scheint, wird seit längerem schon, gern auch von Leitartiklern, mal süffisant, ja manchmal sogar eindeutig abwertend beschrieben: Hier ein Räuspern, da ein Versprecher, dort die langen Haare, oder der unsicher tänzelnde Gang. Auch bei Kurt Beck, dem „Pfälzer aus der Provinz“, als er sich anschickte, als SPD-Parteivorsitzender sich nicht verbiegen zu wollen, konnte man dieses Abschreibungs-, oder sollte man besser sagen Kleinschreibungsmuster? - beobachten. Von Anbeginn wurde Beck von einigen als Provinzei beschrieben, dem man aufgrund seines Habitus schlicht die Kompetenz absprach, eine schlingernde Bundespartei neu auf Kurs zu bringen.

Erinnern wir uns dagegen an von und zu Guttenberg. Hier haben viele anfangs aus ihrer Begeisterung keinen Hehl gemacht. Man hat sich vom „führungsstarken“ Habitus des adeligen Jungsporn förmlich hypnotisieren, ja einlullen lassen. Der Habitus zu Guttenbergs – ich erinnere mich noch recht genau an einen Leitartikel – wurde - lang vor seiner Zeit als Verteidigungsminister schon - aufs Korn genommen. Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Endlich einer mit vermeintlich viel Charisma, mit Eleganz und glanzvoller Rhetorik, der in seiner Freizeit ganz locker auch mal auf AC/DC tanzte. Ein adeliger Held sozusagen. Was dann folgte war katerhafte Ernüchterung, als sich nämlich heraus stellte, dass hier einer von Anbeginn sein Image mit einem quasi gefälschten Doktortitel – noch dazu völlig ohne Not - aufpoliert hatte.

Ich gebe zu, ich finde Hofreiter nicht unsympathisch, gerade weil er sich diesen etwas anderen Politiker-Habitus bisher noch bewahrt hat. Ich schätze ihn aber mehr noch deswegen, weil mir seine Argumente in der politischen Auseinandersetzung  meist recht logisch und stimmig erscheinen. Er kennt sich einfach gut aus in vielen Dingen, ist mein Eindruck. Ich drücke ihm daher die Daumen, dass sich sein Habitus irgendwann einmal – entgegen der medialen Glaskugel - als stark und  zeitgemäß heraus stellt. Als umgekehrter Guttenberg Effekt sozusagen.

Kommentare

18.08.2014

MatO

Stimme ganz zu. - Und was der Spiegel da fabriziert ist nichts weiter als der ewig gleiche und unerbittliche Spiegel-Habitus - da gähnt man noch im Zorn.

13.08.2014

Robert

Hallo Raimund,
das hast Du echt gut geschrieben.
Schöne Zeit.

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