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Atmosphärisches Wochenbuch

Unter der Tamariske

Raimund Schöll am 10.07.2011

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Unter der Tamariske findest du Schatten, überall am Mittelmeer, oft den einzigen, den es gibt weit und breit. Der Baum hat etwas Kümmerliches an sich. Schicksalsergeben steht er da, meist im Sand, wo nichts anderes stehen kann sonst, außer vielleicht Disteln und Gestrüpp. Die Wedel, von Salzluft und Sonne gepeinigt und besonders heftig durchgeschüttelt, wenn Meltemi und herumfliegender Sand an ihm nagen. Doch an anderen Stellen und Ecken, wie gestern Abend in der Taverne, kann sie auch anders, die Tamariske. Wie die Sphinx aus der Asche steigt sie dort auf und entledigt sich ihres Aschenputteldaseins. Mit festen Stamm, in diesem Fall sind es sogar zwei, die sich gabeln, hier und da zartes Orange, das durch die Baumrinde schimmert, mit ihren dichten weichen grünen Nadeln kokettiert sie wie eine alternden Filmdiva, die sich der eigenen Bedeutung immer noch gewiss ist. Ich sitze an einem Holztisch, ziehe an meinem Zigarillo, höre den zarten Abendwind durch ihre Zweige schwurbeln und mag gar nicht mehr weg von ihr, auch nicht, weil diese plumpe gelbe Glühbirne aus ihrem Geäst funzelt und der kühle griechische Landwein durch meine Kehle rinnt. Die Tamariske, die seit Jahrtausenden an innenraumbildenden Immunsystemen leise Mitarbeitende, ist die vielleicht verkannte Schattendiva unter den Pflanzen des Mare Nostrum. Denke ich.

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