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Atmosphärisches Wochenbuch

Lügenpresse

Matthias Ohler am 14.01.2015

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Das Internet habe die mediale Landschaft so demokratisiert, dass man wahr von falsch nicht mehr unterscheiden könne. Etwa in diesem Sinne hacken viele um ihre starke Stellung besorgte Hardcopy-Journalisten (und/oder Mediokraten) auf dem armen Internet herum. Man hat den Schuldigen für die "Lügenpresse" skandierenden Marschierer. Aktuell und in schöner Deutlichkeit vollzieht das heute zB das Oberbayrische Volksblatt OVB (immerhin in der Presseschau des Deutschlandfunks heute morgen berücksichtigt ...). Es sei darum (aus OVB online (!!!)) ausführlich zitiert:

"Das Internet hat die Informationsgesellschaft revolutioniert. Es hat sie demokratisiert, weil die „alten“ Medien ihr Monopol, Meinung zu prägen, verloren haben und, soviel Selbstkritik muss sein, manche mediale Angepasstheit an die politische Korrektheit entlarvt wurde. Es hat sie aber auch radikalisiert, und – inmitten eines Meeres von per Mausklick abrufbarem Wissen – verdummt. Was uns heute in den Diskussionsforen der virtuellen Welt an „Wahrheiten“ begegnet, sind vielfach keine journalistisch auf ihre Glaubwürdigkeit geprüften Nachrichten, sondern anonyme Kloschmierereien. Und eine entsetzliche verbale Enthemmtheit, die sich auf der Straße fortsetzt – auch im Nazi-Schlachtruf „Lügenpresse, halt die Fresse“. Hier, in ihrem Hass auf die freie Presse, treffen sich am Ende alle wieder: die islamistischen Mörder. Und der rechte Mob, der die vielen aufrichtig und nachvollziehbar besorgten Pegida-Mitläufer als Geiseln nimmt."

Das Internet für diese angebliche Enthemmtheit auf den Blättern und der Straße verantwortlich zu machen, kann dann wohl auch gut erklären, warum vor 80 Jahren der Völkische Beobachter - der aus noch nicht geklärten Gründen keine Online-Ausgabe hatte - so zahm und auf Glaubwürdigkeit geprüft war, und warum die Leute Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre so leise und friedlich auf den Straßen daherzogen? Und deshalb darf man auch so gehemmt und zurückhaltend von "Kloschmierereien", "Mob" usw. onlinen. Wenn schon, denn schon.

Das ist alles auch - nicht nur - atmosphärisch unbefriedigend. Von der verdeckt assimilierten Semantik von "demokratisiert", "revolutioniert" und "verdummt" ganz zu schweigen.

Wenn der VB (wohlgemerkt nicht OVB) und seine Herausgeber, BeSchreiber und BeNutzer etwas zu fürchten gehabt hätten, dann ein freies Netz. Enthemmt.

Kommentare

17.01.2015

Matthias Ohler

Das unterscheidet das Internet und seine User vom Völkischen Beobachter und dessen Usern noch nicht bedeutend. Aber der Völkische Beobachter als quasi gesellschaftlicher Alleinunterhalter würde mir mehr Sorgen mache als das Internet und einige, die es halt so verstehen.

15.01.2015

Raimund

Na es kann einem schon kalt den Rücken runter laufen bei dem, was sich im Internet tummelt. Hassparolen, Ressentiments, rechtsnationales Getöse in Stürmer-Manier. Klar, das Internet ist weder gut noch schlecht. Aber es hat beizeiten auch den Anschein einer Parallelwelt. Viele halten das Netz inzwischen für die ehrlichere, ja und echtere Welt. Das muss einem Sorgen machen.

Ein kleiner Literaturtipp so nebenbei. Wolfgang Benz: Die Feinde aus dem Morgenland. Warum die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet.

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