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Atmosphärisches Wochenbuch

Papoulias und griechische Gefühlslagen

Raimund Schöll am 17.02.2012

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Wenn derzeit von Griechenland die Rede ist, scheint es vor allem um das zu gehen, was das Land alles bisher versaubeutelt hat oder derzeit gerade im Begriff ist zu versaubeuteln. Man muss die Vorwürfe und Vorhaltungen hier gar nicht alle neu aufzählen, weil die greek bad news ohnehin jeden Tag über die Sender gehen. Nun, wo gestern der 82-jährige Staatspräsident Papoulias noch auf unseren Finanzminister Schäuble geschimpft hat, und am Wochenende die Autos und Läden in Athens Innenstadt brannten, scheint sich so oder so ein bestimmtes Bild zu Griechenland und den Griechen in unseren Köpfen fest zu setzen. Nämlich das der Renitenz, Einsichtslosigkeit und Wut.

Besorgniserregend fände ich, wenn dieses negative Bild zu Griechenland und den Griechen in Deutschland zu einem dauerhaften Urteil geriete. Nicht nur, weil ein solches hanebüchen doof und einseitig wäre, sondern weil wir es dann mit einem Urteil zu tun hätten, das kräftig von denen mit angerührt wäre, die allzu gerne vorgeben, zuallererst objektiv zu sein. Um es deutlicher zu sagen: Die Werner Sinns und andere Wirtschaftsexperten, mit ihrem scheinbar objektiven Ökonopoly, erzählt aus dem Reich der vermeintlich harten Wirklichkeiten, hätten dann die Deutungshoheit erlangt, deren Grammatik allerdings oftmals weich lautet: mehr arbeiten und sich mal anstrengen.

Ganz abgesehen davon, dass der Durchschnittsgrieche 42,1 Stunden in der Woche arbeitet, ist unbestritten, dass Griechenland sich in einem bedauernswerten Ausnahmezustand befindet. Aber die Krise in Griechenland ist vor allem eine soziale Krise, die gerade dabei ist, sich dramatisch zu verschärfen. Schon 2011 gab es in Hellas im Vergleich zum Vorjahr 230.000 Arbeitsplätze weniger. Die Arbeitslosenquote lag 2011 bei den 15-24-Jährigen bei über 42 Prozent. Von 811.000 Arbeitslosen bekamen 2011 nur 280.000 Menschen 12 Monate Arbeitslosengeld und es gab 2011 schon einen 25-prozentigen Anstieg der Obdachlosigkeit (vgl. Nick Malkoutzis: Griechenland ein Jahr der Krise, in Internationale Politikanalyse, Friedrich Ebert Stiftung, 2012).

Aktuell, 2012 dürfte sich die prekäre Situation vieler Griechen noch weiter verschlimmert haben. Was bei uns los wäre, wenn der gesamte Mittelstand innerhalb von zwei drei Jahren in schwere Existenznöte geriete, kann sich jeder ausmalen. Wenn fest geglaubte Bezüge plötzlich fehlten, die soziale Wirklichkeit sich lavaartig verflüssigte, das Leben durcheinander geriete.

Ich finde, Griechenlands Krise sollte nun auch endlich als das diskutiert werden, was sie auch darstellt: nämlich eine des sozialen und atmosphärischen Verlustes. Junge und alte Menschen quer durch alle sozialen Milieus fürchten derzeit, ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu verlieren, und das gefühlt auch durch das Kalkül der kühlen Zahl und der kühlen Ökonomen. 

Staatspräsident Papoulias, mit seinem gestrigen Wutausbruch, hat diese Gefühlslage der Griechen, stellvertretend für sein Volk, wohl mal kräftig zum Ausdruck bringen wollen. Die Wirtschaftsexperten und auch Wolfgang Schäuble werden's verkraftet haben.

 

 

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Kommentare

17.02.2012

Robert

Du hast wieder einmal vollkommen recht, Du alter Grieche :-)

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